Welche Maßnahmen ergreifen, wenn der Arbeitnehmer „blau macht“?

Welche Maßnahmen ergreifen, wenn der Arbeitnehmer "blau macht"?Etwa 40 Millionen Mal im Jahr wird in Deutschland die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt, so der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK).
14,8 Tage ist der Deutsche im Durchschnitt im Jahr krank und zehn Prozent der Arbeitnehmer bekennen sich laut einer Studie dazu, vereinzelt „blau zu machen“.

Doch wer sich arbeitsunfähig krankmeldet, obwohl er dies tatsächlich nicht ist, riskiert die fristlose Kündigung. Ein solches Verhalten begründet nämlich in der Regel das Vorliegen eines wichtigen Grundes, wie ihn die Kündigung nach § 626 BGB voraussetzt.
Durch das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit erschleicht sich der Arbeitnehmer Leistungen – und zwar in Form der Entgeltfortzahlung (vgl. § 3 EFZG). Wenn ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht besteht, enthält er zumindest dem Arbeitgeber die vertraglich geschuldete Leistung vor. Anders gesagt: das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit ist keine Lappalie, sondern stellt eine erhebliche Pflichtverletzung gegenüber dem Arbeitgeber dar.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht unverständlich, dass das „Blaumachen“ zur fristlosen Kündigung berechtigen kann – selbst dann, wenn nur ein einziges Mal über die Arbeitsunfähigkeit getäuscht wurde.
Trotz dieser konsequenten Rechtsfolgen kommt es in der Praxis nur selten zu einer Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit. Dies liegt wesentlich an der Beweislast des Arbeitgebers. Dieser muss nämlich – falls der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhebt – vor Gericht beweisen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht krank ist bzw. war.
Der Arbeitnehmer wird dem Arbeitgeber in der Regel zum Beweis die Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung seines Arztes entgegenhalten. Hierzu ist er nach § 5 Abs.1 S. 3 EFZG im Übrigen verpflichtet, sobald die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage dauert.

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bemisst der AU-Bescheinigung, auch bekannt als „gelber Schein“, eine hohe Beweiskraft zu. Daher muss der Arbeitgeber Fakten vortragen, die diesen Beweis entkräften. Dies gelingt ihm nur in seltenen Fällen, denn die Maßnahmen, die er zur Aufdeckung der Täuschung heranziehen kann, sind begrenzt – zumal der Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet ist, Krankheitsbild und Diagnose anzugeben.

Eine sogenannte Verdachtskündigung kann zwar auch schon dann ausgesprochen werden, wenn nur der Verdacht einer vorgetäuschten Krankheit oder einer anderen schweren Pflichtverletzung besteht. Hieran sind aber besonders strenge Voraussetzungen zu stellen, die Pflichtverletzung muss sich dann geradezu aufdrängen und zukünftig sicher bewiesen werden können. Für den Fall, dass die Kündigung ausgesprochen wird und der Beweis anschließend nicht gelingt, hat der Arbeitgeber die Prozesskosten und ggf. Schadensersatz zu zahlen. Eine Verdachtskündigung sollte daher nur dann ausgesprochen werden, wenn feststeht, dass die schwere Pflichtverletzung noch bewiesen werden kann. Ansonsten sollte man mit der Kündigung besser warten, bis die Sachlage klar ist.
Um einen Verdacht zu erhärten kann der Arbeitnehmer einen Privatermittler einschalten und diesen mit der Observation des Arbeitnehmers beauftragen. Da es sich hierbei jedoch um einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs.1 i. V. m. Art. 1 Abs.1 GG) handelt, ist dies rechtlich nur in Ausnahmefällen zulässig. Es müssen dann bereits konkrete Anhaltspunkte, wie beispielsweise Zeugenaussagen, vorliegen. Geschieht die Überwachung in unzulässiger Weise, muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass er wegen Zahlung eines Schmerzensgelds in Anspruch genommen wird. Auch bei dieser Maßnahme ist also Vorsicht geboten.
Helfen kann es gegebenenfalls, wenn der Arbeitgeber die Krankenkasse des Arbeitnehmers kontaktiert. Diagnose und Krankheitsbild darf diese zwar ebenso wenig offenlegen wie der behandelnde Arzt. Ist der Arbeitnehmer allerdings besonders oft krank, kann bei der zuständigen Krankenkasse die sogenannte Zusammenhangsfrage gestellt werden. Die Krankenkasse muss dann Auskunft darüber erteilen, ob vorhergehende Arbeitsunfähigkeiten wegen derselben Krankheit testiert wurden. Dies kann nämlich auf eine Dauererkrankung oder ein Grundleiden hindeuten, wodurch die häufige Arbeitsunfähigkeit plausibel erschiene. Andersherum sind häufige Krankmeldungen, die nicht im Zusammenhang stehen, schwieriger zu erklären und können unter Umständen einen Verdacht gegen den Arbeitnehmer aufrechterhalten oder erhärten.

Darüber hinaus kann der Arbeitgeber sich an die Krankenkasse wenden, um eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes anzufordern. Dieser besteht aus einem unabhängigen Gutachterteam, welches die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers überprüft und hierzu Stellung bezieht. Ein Gutachten kann angefordert werden, wenn die Art, die Schwere, die Dauer oder die Häufigkeit der Erkrankung eine Begutachtung erfordert.
Ergeben sich Zweifel an der Richtigkeit der AU-Bescheinigung muss die Krankenkasse daraufhin den Arzt des Versicherten hierüber unterrichten. Kann dieser seine Einschätzung nicht weiter begründen, muss anschließend sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Versicherten das Ergebnis der Stellungnahme mitgeteilt werden.
Um nicht zu tief in die Privatsphäre des Versicherten einzugreifen, darf die Krankenkasse bei der Mitteilung über das Ergebnis aber keine Details bezüglich Diagnose oder Krankheitsbild nennen. Es wird lediglich mitgeteilt, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes zu den Ergebnissen des MDK passt. Wenn der MDK dies verneint, kann mit seiner Stellungnahme der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert und Gegenbeweis erbracht werden.


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